Umgang mit Unterrichtsstörungen

Im Umgang mit Unterrichtsstörungen ist es wichtig, die Betrachtung der Formen und Ursachen nicht zu vernachlässigen. Denn die große Anzahl an Möglichkeiten und Ausprägungen lässt es kaum zu, Störungen des Unterrichts zu verhindern. Schon Biller schlug vor, sich vorzugsweise auf die Behebung von vermeidbaren Störungen zu konzentrieren, und von einem Anrennen gegen unvermeidbare Störungen abzusehen.

Das Konzept der Störungsprävention zeigt die Möglichkeit, sich auf die Behebung dieser vermeidbaren Störungen zu konzentrieren. Dabei hat die Lehrkraft die Möglichkeit, den Unterricht fachdidaktisch, methodisch und schülerbezogen zu gestalten, um drohende Störungen frühzeitig abzuwenden. Diese gestalterischen Möglichkeiten können während der Planung mitbedacht werden, um eventuellen Störungen des Unterrichts von vornherein vorzubeugen.

Umgang mit Unterrichtsstörungen –
Prävention als Gesundheitsvorsorge

Kowalcyk und Bottich setzen den Begriff der Prävention aus dem Gesundheitswesen in einen interessanten pädagogischen Kontext im Umgang mit Unterrichtsstörungen. So wird der Begriff im medizinischen, genau wie im pädagogischen Bereich, als vorbeugende Maßnahme verstanden. Im Gesundheitswesen wird zwischen einer primären Prävention, einer sekundären Prävention und der tertiären Prävention unterschieden.

  • Die primäre Prävention stellt die allgemeine Gesundheitsvorsorge in Form der Gesundheitserziehung, Aufklärung, Finanzierung und Organisation des leistungsfähigen Gesundheitswesens dar.
  • Zur sekundären Prävention zählen Maßnahmen zur Vorbeugung in Form von Vorsorgeuntersuchungen oder Ernährungsvorschläge für krankheitsbedingte Risikopersonen.
  • Eine tertiäre Prävention meint die unmittelbare medizinische Behandlung von Krankheiten.

Auf den pädagogischen Bereich übertragen, entspricht die primäre Prävention einer kindgerechten Gestaltung von schulischen und außerschulischen Lebens- und Lernbedingungen für alle Kinder.

Die sekundäre Prävention bietet schulische und außerschulische Angebote für Kinder, die noch nicht als störanfällig gelten, jedoch zur Risikogruppe zählen.

Die tertiäre Prävention setzt bei manifestierten Störungen mit Förderungen oder Therapien an. Dabei unterscheiden Kowalczyk und Bottich zwischen umfeldbezogenen Maßnahmen und personenbezogenen Maßnahmen. Umfeldbezogene Maßnahmen entsprechen der Minimierung von Gefährdungspotenzialen und gleichzeitiger Unterstützung. Personenbezogene Maßnahmen helfen dem Individuum beispielsweise beim Abbau von Lerndefiziten.

Dieser Vergleich soll verdeutlichen, dass nicht erst bei Problemen reagiert werden soll, sondern vielmehr das Handlungsziel, Problemen vorzubeugen, erstrebenswert ist. Der Vergleich mit dem Gesundheitswesen verdeutlich gleichzeitig den gesundheitlichen Charakter des Begriffes „Prävention“. Präventive Maßnahmen wirken sich nicht nur für Lehrer gesundheitlich positiv aus. Sie betrachten darüber hinaus den Lehr-Lern-Prozess als wechselseitigen Organismus, dessen Gesundheit erhalten bleiben muss.

Umgang mit Unterrichtsstörungen –
Die Studienergebnisse von Jacob Kounin

Die Fokussierung auf präventive Maßnahmen zum Umgang mit Unterrichtsstörungen gehen zeitlich weit zurück. So wurde ihre Bedeutung bereits 1976 in Kounins Studien zur Unterrichtsforschung deutlich. Dabei verweist er auf einen Zwischenfall, der sich während seiner Vorlesung ereignete. In dieser maßregelte er einen Studenten, der während seines Vortrages eine Zeitung laß. Zu seiner Verwunderung zeigte das Maßregeln nicht nur bei dem betroffenen Studenten Erfolg, sondern beeinflusste direkt die übrigen Studenten in ihrem Verhalten.

Fortan untersuchte Kounin diese, als Welleneffekt bezeichnete Beobachtung an verschiedenen Schulen mit dem Ziel, herauszufinden, welche Zurechtweisung den bestmöglichen Effekt auf Unterrichtsstörungen hervorruft.

Kounins Untersuchungen blieben in den ersten Studien erfolglos. Hinsichtlich der Auswirkung einer Zurechtweisung seitens der Lehrer auf das Störverhalten der Schüler brachten sie keine eindeutigen Erkenntnisse. So gab es unterschiedliche Beobachtungen zwischen den verschiedenen Lehrkräften und Parallelklassen in Reaktion auf die Maßregelungen.

Erst eine Analyse der videografierten Durchführungen offenbarte, dass das Verhalten der Lehrkraft vor der Störung präventiv bedeutsamer war, als eine intervenierende Zurechtweisung.

Die vier Dimensionen des Lehrerverhaltens

Auch Nolting greift im Umgang mit Unterrichtsstörungen Kounins Studienergebnisse auf und stellt vier Dimensionen des Lehrerverhaltens in den Vordergrund.
  • Als erste Dimension stellte sich die Dimension der Allgegenwärtigkeit und Überlappung als Fähigkeit des Lehrers dar, sich mehreren Geschehnissen im Unterricht zuwenden zu können. Die Schüler wird dabei das Gefühl vermittelt, alles genauestens im Blick zu haben.
  • Die zweite Dimension Reibungslosigkeit und Schwung bezieht sich auf die Gewährleistung oder Einhaltung des flüssigen Unterrichtsgeschehens. Dabei sollen unnötige Verzögerungen oder thematische Sprünge verhindert oder unterlassen werden. Diese erfolgreiche Klassenführung durch einen Lehrer ist, laut Kounin, von außenstehenden Beobachtern kaum wahrnehmbar. Schlecht geführte Klassenführung ist aufgrund der fehlerentlarvenden Störung hingegen sehr viel leichter wahrnehmbar.
  • Als dritte Dimension wird die Aufrechterhaltung des Gruppen-Fokus erläutert. Hierbei steht die gleichzeitige Aktivierung aller Schüler, auch wenn nur ein einzelner Schüler gerade „dran“ ist, im Fokus.Die Gruppenmobilisierung und das Rechenschaftsprinzip sind dabei ausschlaggebend.
    • Die Gruppenmobilisierung führt durch allgemeine Fragestellungen oder Blickkontakt an die gesamte Klasse eine Art Dauerspannung bei den Schülern her. Dabei müssen alle Schüler damit rechnen, jederzeit für eine Antwort aufgerufen zu werden.
    • Das Rechenschaftsprinzip beschreibt, inwiefern die Schüler ihre Leistung vorzeigen müssen. Hierbei kommen schnelle Maßnahmen wie Aufgabenhefter hochhalten oder möglichst viele Schüler zur Meldungen aufzufordern. Dies eignet sich besonders, um möglichst viele Schüler gleichzeitig zu kontrollieren.
  • Die vierte Dimension, nach Kounin, heißt programmierte Überdrussvermeidung. Das Hauptaugenmerk richtet sich hierbei darauf, negative Motivation und somit Überdruss und Langeweile zu verhindern. Da häufige Wiederholungen die Ursache für diesen Überdruss ist, gilt es Abwechslung in Methodik und Inhalt sowie intellektuelle Herausforderungen zu schaffen.
Nolting fasst die Ergebnisse der Forschungen zusammen und hält fest, dass die Disziplin überwiegend von Verhaltensweisen abhängt, die nicht den Anschein einer Disziplinierung machen. Darüberhinaus ist nicht die Reaktion auf bereits aufgetretene Disziplinprobleme entscheidend, sondern die Prävention. Dabei formuliert er es leicht überspitzt:
„Mit Disziplinproblemen muss man nicht fertig werden, man muss sie verhindern“.

Weiter wirken sich vor allem Verhaltensweisen besonders dann präventiv aus, wenn sie unauffällig, kaum merklich und zum großen Teil nonverbaler Art sind.

Umgang mit Unterrichtsstörungen –
Heutige Betrachtung

Kounins Befunde zum Umgang mit Unterrichtsstörungen liegen über vierzig Jahre zurück und stellen nur das Verhalten des Lehrers sowie seinen lehrerzentrierten Unterricht in den Mittelpunkt. Dies entspricht nach heutigen Erkenntnissen nicht mehr den Standards für Unterrichtsqualität. Trotzdem sind sie noch gerade hinsichtlich des Klassenmanagements aktuell und von Bedeutung. Auch sie rücken die Prävention in den Mittelpunkt der Betrachtung und zeigen den geringeren Einfluss von Interventionen in Form von Sanktionierung des einzelnen Schülers. Die neuere Forschung orientiert sich an den Befunden Kounins, sie ergänzt diese, wandelt sie ab und erweitert die Dimensionen des Lehrerverhaltens und der Unterrichtsführung.

Nolting selbst stellte eine kleine Umfrage, unter 101 stichprobenartig ausgewählten Lehrkräften aus verschiedenen Schultypen, an. Dabei sollte der Satz: „Damit in der Schulklasse nur wenig Disziplinprobleme auftreten, ist es vor allem wichtig, dass man …“ von den Lehrkräften um etwa drei Ideen ergänzt werden.

Die Antworten ordnete Nolting in vier Kategorien ein, wobei das alleinige Stichwort Regeln mit 18,6% am häufigsten fiel. 12,9% der Angaben bezogen sich auf die Reaktionen auf Störungen. Einen großen Komplex stellte die Unterrichtsführung mit 22,3 % dar. Darin sind Merkmale wie Methodenwechsel und Unterrichtsstrukturierung enthalten. Die letzte Kategorie betrifft die Gestaltung der sozial-emotionalen Beziehung mit 20,3% der Angaben.

Kritisch betrachtet werden muss hierbei, dass es sich um eine Stichprobe handelt und somit nicht als repräsentativ für die gesamte Lehrerschaft gesehenwerden kann. Dennoch wird deutlich, dass das Lehrerverhalten und die Art der Unterrichtsführung und -gestaltung für viele Lehrkräfte aktuell eine präventive Maßnahme darstellt.

Inzwischen ist sehr gut nachgewiesen, dass eine aufmerksame und präsente Klassenführung, die auf Aktivierungund Klarheit abzielt, Störungen vorbeugt und den Lernerfolg von Schülern steigert. Ein Reagieren auf Störungen in Form von Sanktionen und Strafen hingegen erzeuge, so Lohmann, häufig eine Atmosphäre der Feindseligkeit, die in einem Teufelskreis aus Macht und Vergeltung ende. Die Ursache der Langeweile liege dagegen nur auf der Unterrichtsebene und könne auch nur auf dieser gelöst werden.

Drohungen, ständiges Ermahnen und Sanktionieren kann somit die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung ernsthaft beeinträchtigen und schädlicher sein, als sie letztlich nutzen würden. Interventionen in Form von Sanktionen oder anderen eingreifenden Maßnahmen sind allerdings nicht als generell unwichtig zu betrachten. Laut Eichhorn sind sie sogar in bestimmten Fällen nötig. Dabei betont er aber auch, dass Intervention schwerwiegende Nachteile, wie Beschämen des Schülers, Gefährdung der Lehrer-Schüler-Beziehung oder eine Abnutzung der Sanktionen mit sich bringen können und daher möglichst wenig, dafür aber richtig sanktioniert werden solle. Die beste Möglichkeit sei jedoch, Sanktionen erst einzusetzen, wenn präventive Maßnahmen nicht mehr zielführend sind.

Heute basiert die Einteilung der präventiven Strategien vor allem auf Lohmanns Metastrategien zum professionellen Umgang mit Störungen im Unterricht. Hierbei werden die Strategien zur Prävention hauptsächlich der Beziehungsebene, der Unterrichtsebene und der Disziplin-Management Ebene zugeordnet.

Präventive Strategien auf der
Beziehungsebene

Die präventiven Strategien auf der Beziehungsebene decken besonders folgende Aspekte ab:

Präventive Strategien auf der
Unterrichtsebene

Die Präventiven Strategien auf der Unterrichtsebene zielt auf folgende Aspekte ab:

Präventive Strategien auf der
Disziplin-Management Ebene

Die präventiven Strategien auf der Disziplin-Management Ebene widmet sich folgenden Aspekten:

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