Mögliche Ursachen von Unterrichtsstörungen
Des Weiteren können die Ursachen auch übergreifend verstanden werden. Die Ursache einer Störung, bei der der Schüler stört, kann ebenso im Lehrerverhalten, in der Unterrichtsebene oder im Umfeld des Schülers begründet sein. Oder sie bedingen sich gegenseitig. Die Schule stellt kein geschlossenes System dar, sondern ist Bestandteil einer Gesellschaft, dessen Probleme sich auch im Unterricht widerspiegeln.
Schülerbezogene Ursachen
So werden, laut Lohmann, die Störungen aus Lehrerperspektive fast ausschließlich als unangemessenes Schülerverhalten wahrgenommen und in der Persönlichkeitsstruktur der Schüler festgemacht. Wie im anderen Artikel zu den Formen von Unterrichtsstörungen schon erwähnt, begehen Schüler Disziplinkonflikte meist unabsichtlich oder unbewusst. Dies liegt mitunter an den sich von den erwachsenen unterscheidenden Zielen und Strategien des Schülerhandelns. Schüler leben in einer anderen Welt und verfolgen eher nichtakademische Ziele. Es ist ihnen wichtiger, mit Mitschülern zu reden oder Freunde zu treffen, statt gute Noten zu sammeln oder etwas zu lernen.
- Das Verstoßen gegen Regeln hat es im schulhistorischen Kontext schon immer gegeben. So kann die Ursache auch in der Selbsterprobungsabsicht des Schülers gesehen werden, die für die Entwicklung des individuellen Wertesystems und der eigenen Persönlichkeit unabdingbar ist. Diese Selbsterprobungsabsicht ist für die soziale Erfahrung und für das soziale Lernen eine unverzichtbare notwendige Voraussetzung. Es hilft den Schülern zu lernen, sich in einer größeren Gemeinschaft mit Regeln und Konsequenzen zurechtzufinden.
- Besonders negativ auf das Disziplinverhalten des Schülers, und damit auch als eine Belastung für den Lehrer, kann sich die Pubertät auswirken. Die Provokationen und Aggressionen richten sich gegen Lehrer und Mitschüler und sind durch die Stimmungsprobleme während des seelischen und psychologischen Wandels des Schülers verursacht.
- Auch eine mögliche mangelnde Motivation hinsichtlich der Leistungsbereitschaft kann zu einer Überschreitung von Grenzen führen. Gleichzeitig werden Moral- und Normvorstellungen der Erwachsenen in der Pubertät kritisch hinterfragt. Aggressionen gleichen auf diese Weise oftmals einem spielerischen Kampf oder das Auskundschaften von Freiräumen die besonders in der Pubertät noch verstärkt werden.
- Doch nicht immer sind die Ursachen in den Disziplinkonflikten verortet. Neurobiologische Störungen drücken sich beispielsweise auch in Lernverweigerung und Passivität aus. Besonders häufig tritt, neben anderen Formen, die Aufmerksamkeitsdefizit- /Hyperaktivitätsstörung (ADHS) als neurobiologisch verursachte Verhaltensstörung auf. Diese Verhaltensstörung äußert sich besonders und auch kombiniert durch vorwiegend hyperaktiv-impulsives sowie vorwiegend unaufmerksames Verhalten.
Umfeldbezogene Ursachen
Das bildungsferne Milieu
Die Mittelschicht
Die Bildungsoberschicht
Die unterschiedlichen Erziehungsstile
Eine inkonsequente Erziehung, in der das Kind mal Härte und mal Verwöhnung erfährt, kann bei ihm zu einer Verunsicherung hinsichtlich seines eigenen Verhaltens führen. Angekündigte Konsequenzen für Fehlverhalten sollten bei Kindern stets umgesetzt werden. Bleiben sie bei Missachtung aus, vermittelt es dem Kind den Eindruck, dass Grenzen auch im Unterricht ohne Folgen überschritten werden können.
Werden Kinder sich selbst überlassen, spricht man von einer vernachlässigten Erziehung, in der sich, trotz Befriedigung materieller Bedürfnisse, eine seelische Verarmung einstellt. Ähnliche Erfahrungen machen Kinder, die sich durch harte körperliche und seelische Strafen dem strafenden- unterdrückenden Erziehungsstil der kalten und lieblosen Eltern ausgesetzt fühlen.
Wandel der Jugendkultur als Ursache
Trends und Jugendsprachen entwickeln sich in einem rasanten Tempo weiter, die das Verhältnis zwischen den Generationen stark belasten. Darüber hinaus sind sich die Jugendlichen einem permanenten visuellen und akustischen Dauerstress ausgesetzt, der die Schüler unkonzentriert, sprunghaft und gereizt werden lässt. Von Erwachsenen wird dies oftmals als Verrohung der Jugend wahrgenommen, wenn diese sich nicht an die zivilisatorischen Vorstellungen der Erwachsenen halten.
Die soziale Umgebung ist somit ein maßgeblicher Faktor, wenn es um die Ursachenzuschreibung von Unterrichtsstörungen geht.
Institutionelle Ursachen
- Personelle Unterbesetzungen führen zu Unterrichtsausfällen, so dass der Unterricht erst gar nicht stattfindet und damit indirekt, durch die inhaltliche Unterbrechung, einer Störung gleichkommt.
- Die Anwesenheit in der Schule ist nicht freiwillig, sondern verpflichtend. Diese Zwanghaftigkeit kann zu Spannungen und Unzufriedenheit bei den Schülern führen.
- Darüber hinaus übt das bestehende Schulsystem eine Selektionsfunktion aus. Diese, von der Institution Schule ausgehende Selektions- und Leistungsdruck kann für einige betroffene Schüler teils unerträglich werden. Dabei dienen den Schülern Störungen des Unterrichts häufig als Möglichkeit sich dem Druck dieses Systems zur Wehr zu setzen.
- Neben der Zahl der Unterrichtsstunden, der Qualität der Unterrichtsmaterialien und der Klassengröße, können aber auch andere Faktoren eine Rolle spielen. So wirken sich Mängel in Bewegung, Kreativität und Handwerk negativ auf das Wohlbefinden der Schüler und somit auf das Schulklima aus.
- Zusätzlich zum fehlenden Angebot herrscht in großen Schulgebäuden und in Klassen mit sehr vielen Schülern oftmals ein akustischer Dauerstress. Der wird durch fehlende Maßnahmen zur Verringerung unnötiger Akustik noch verstärkt.
- Aufgrund der ungünstigen Lage einiger Schulen kommen noch Störungen aus dem Außenbereich hinzu. Straßenlärm, Lärm vom Hof oder Bauarbeiten können den Unterrichtsverlauf auditiv stören. Das Übertönen dieser Geräusche führt wiederum zu neuen Störungen und zerrt an den Nerven aller am Unterricht Beteiligten.
Lehrerbezogene Ursachen
Doch warum treten Unterrichtsstörungen in derselben Klasse bei einigen Lehrern häufiger auf als bei anderen Lehrern? Dies lässt sich zum Teil an verschiedenen Lehr- und Erziehungsstilen innerhalb des Lehrerkollegiums festmachen.
- Eine große Rolle spielt die Identifikation des lehrenden Individuums mit seiner Rolle als Lehrer. Die Schüler testen durch provokantes und regelüberschreitendes Verhalten die Grenzschwelle des Erlaubten der einzelnen Lehrkraft aus.
- Unzuverlässige Lehrkräfte mit mangelnder Selbstdisziplin produzieren durch ihre schlechte Vorbildfunktion selbst Störungen im alltäglichen Miteinander. Sie halten sich nicht an versprochenen Abmachungen, sind oft selbst Unpünktlich und unterrichten oft unvorbereitet. Diese negativen Handlungsmuster werden von den Schülern häufig reproduziert. Gleichzeig vermitteln mangelnde Unterrichtsvorbereitung und mangelnde Fachkenntnisse bei den Schülern den Eindruck, dass der Unterricht nicht besonders wichtig sein kann.
- Eine ineffektive Klassenführung, als Ursache von Unterricht mit hohem Störungspegel und aggressivem Klassenklima, zeigt sich besonders durch inkonsequentes Verhalten wie häufiges, wirkungsloses Ermahnen und Drohen. Diese Endlosschleife führt zum Verlust des Respektes der Schüler ihrem Lehrer gegenüber.
- Neben der Inkonsequenz der Lehrkraft spielen auch ungeeignete Interventionen eine Rolle. Die Disziplinarmaßnahmen bringen kaum Verbesserungen, sondern werden selbst zur Störquelle, die die Beziehungsebene zwischen Lehrer und Schüler nachhaltig negativ beeinflussen können.
- Ein weiterer Punkt auf der Liste der Ursachen von Unterrichtsstörungen nimmt mangelnde Transparenz der Lehrkraft hinsichtlich seiner Erwartungen, Themenwahl oder Regelgestaltung ein. Setzt die Lehrkraft dieses nicht um, können Schüler sich fremdbestimmt fühlen und den Unterricht als ziellos, ungerecht und langweilig empfinden.
Das eigene Lehrerverhalten reflektieren
Winkel verweist in diesem Zusammenhang auch auf das Klassenbuch. In dem Klassenbuch werden die täglichen Unterrichtsabläufe durch die Lehrkräfte notiert. Ebenso dient das Klassenbuch als ein Medium, um tadelnde Bemerkungen zu einzelnen Schülern einzutragen. Dabei wird deutlich, dass in der Regel dem Schüler die Schuld an Störungen im Unterricht zugeschrieben werden.
Lobende Äußerungen würden, so Winkel, weniger häufig in Klassenbüchern festgehalten. Die negativen Einträge weisen letztendlich jedoch auf das Scheitern der jeweiligen Lehrkraft hin. Der Eintrag zeigt nur, dass die Lehrkraft in den einzelnen Störsituationen keine Lösung bereit hatte, um die Störung zu vermeiden oder zu beheben. Dies kann einerseits auf Unsicherheit oder Unerfahrenheit von Berufsanfängern zurückzuführen sein, andererseits machen auch erfahrende Lehrkräfte Fehler im Umgang mit Unterrichtsstörungen. In beiden Fällen ist eine fehlende Selbstreflexion im Umgang mit Konflikten und Störungen häufig ein Grund für das Scheitern.
Das fehlende Hinterfragen von eigenen Handlungsmustern kann auch dazu führen, dass nicht zielführende Handlungsmuster bestehen bleiben und Störungen begünstigt oder sogar verursacht werden. Auch die nicht reflektierte Körpersprache der Lehrkraft kann Missverständnisse auslösen und Konflikte schüren. Körperhaltungen der Lehrkraft vermitteln den Schülern Signale und Botschaften, die sich in ihrer Deutung oftmals von der eigentlich gewollten Botschaft unterscheiden.
Abschlussbetrachtung
Um Konfliktsituationen zu vermeiden, sollten so viele Informationen wie möglich gesammelt werden. Dazu zählt auch der Perspektivwechsel in die Sicht des Anderen. Bei einer derartigen vielfältigen Ursachenattributierung besteht die Gefahr der subjektiven Fehleinschätzungen seitens der Lehrkraft. Dabei entscheidet die Lehrkraft oftmals im konkreten Unterrichtsmoment, ob die Situation als Störung des Unterrichts anzusehen ist oder nicht.
Die Lösung, um eine schicksalshafte Interpretation zu vermeiden, sieht Lohmann in einer systemischen Sichtweise von Interaktionen verankert. Dabei können belastende Unterrichtssituationen uminterpretiert werden, um sie als pädagogisch gestaltbar zu begreifen. Dabei geht es vorrangig darum, den Lehrer und die Schulklasse als ein nicht geschlossenes soziales System zu begreifen. In diesem stehen die Akteure in gegenseitiger Abhängigkeit, beeinflussen sich wechselseitig und tauschen sich aus. Dabei ist es wichtig, die Verantwortlichkeit nicht auf die alleinige Wechselbeziehung und Zusammenhänge des Systems zu schieben.
Das Individuum im sozialen System soll weiterhin als autonom Handelnder begriffen werden und das Lehrerverhalten nicht als alleinige Ursache für Konflikte stehen. Stattdessen muss das Lehrerverhalten als wichtigste Einflussmöglichkeit auf mögliche Störungen verstanden werden. Der Fokus liegt auf der Erarbeitung von Lösungen.
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